„Kaffeehäuser waren seit ihrer Erfindung subversive Orte. Hier stritt man sich, hier wurden Ideen geboren und Revolutionen vorbereitet, hier konnte man für wenig Geld im Warmen sitzen und teilhaben am geistigen Leben einer Stadt. Betritt man heute ein Café in einer deutschen Großstadt, ist davon rein gar nichts mehr zu spüren – obwohl doch hier die schlauen, gut ausgebildeten jungen Leute aufeinandersitzen. Doch welch trauriges Bild geben sie ab: Gleich bleichäugigen Fischen kauern sie auf unbequemen Schemeln, starren auf Bildschirme und krümeln Muffins in sich hinein. Aus einer Verwahrstelle für Intellektuelle und Bohemiens sind Aquarien für digitale Autisten geworden. […]
Die nächste Revolution, der nächste Jahrhundertroman wird deshalb weiß Gott wo ausgeklügelt, aber ganz sicher nicht bei glutenfreiem Bananabread und einer Tasse Mesele Haille, der durch sein feines Aprikose-Bergamotte-Bukett besticht.
Europas Geistesgeschichte ist aber nicht denkbar ohne den besinnungslosen Missbrauch von Koffein, vom 17. Jahrhundert an bis in die Gegenwart. Kaffee hat die Französische Revolution befeuert und das Nachtleben begründet, lassen wir ihn uns jetzt nicht von der prätentiös-bräsigen Attitüde selbst ernannter Experten kaputtmachen. Es steht was auf dem Spiel. Nicht auszudenken, hätte sich Honoré de Balzac statt mit den Biografien der Pariser lieber mit den Biografien seiner Kaffeebohnen beschäftigt.“ – aus „Die Kaffeehauskultur ist tot“ von Boris Pofalla, in Cicero, v. 27.02.2015
Und seien wir ehrlich: Balzac hätte sich gar nicht mit der Biografie seiner Kaffeebohnen beschäftigen können, denn ein guter Espresso begründet sich in seiner Mischung, während ein Single-Finca-Kaffee zwar nette Geschichten vom Hochlandbauern erzählen kann, aber wie aus einem Naturkostladen von 1980 schmeckt – und mit jeder Ernte anders.
Reden wir also lieber wieder über etwas anderes, über Gott und die Welt, während wir ganz einfach guten Kaffee machen und trinken.